Es war spät. Der Zug hatte Verspätung, der Bahnsteig war fast leer. Tom stieg ein, suchte sein Abteil, lehnte seine Tasche in die Ecke und ließ sich auf den Sitz fallen. Draußen flackerte der Regen im schwachen Licht der Laternen.
Er liebte Nachtzüge – das gleichmäßige Rattern der Schienen, die ruhige Bewegung, das Gefühl, zwischen zwei Welten zu sein. Kein Anfang, kein Ende. Nur das Jetzt.
Die Tür ging auf.
Sie kam ohne ein Wort, stellte ihren kleinen Koffer ab, zog die Kapuze ihres Mantels zurück – und sah ihn an. Dunkles Haar, klare Augen, ein Hauch Müdigkeit in ihrem Blick. Aber mehr: etwas Geheimnisvolles.
„Ich glaube, ich hab das andere Bett“, sagte sie ruhig.
Er nickte, stand auf, machte Platz. Ihr Duft war da, kaum wahrnehmbar, aber sofort vertraut. Etwas Blumiges, Warmes.
Sie nahm Platz, zog ihre Schuhe aus, lehnte sich ans Fenster. Der Zug fuhr an.
Für eine Weile sprachen sie nicht. Nur die Bewegung des Zuges, das rhythmische Klacken, das leichte Schaukeln. Die Außenwelt war dunkel. Ihre Spiegelbilder schimmerten in der Scheibe.
„Ich hasse Flugzeuge“, sagte sie leise, „aber Züge… machen mich ruhig.“
Er nickte. „Sie sind ehrlicher. Langsamer. Man hat Zeit.“
Sie lächelte. Ihre Stimme war weich, ein wenig rau. Als hätte sie Geschichten erlebt, die sie nicht jedem erzählte.
Sie kamen ins Reden. Über Städte, Reisen, über das Gefühl, unterwegs zu sein und doch nirgendwo anzukommen. Es war nicht viel, was sie sagten – aber alles hatte Bedeutung. Ihre Sätze hingen in der Luft, länger als nötig.
Nach einer Weile standen ihre Gläser auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen. Roter Wein aus dem Speisewagen, in dünnwandigen Plastikbechern, die sich zu wichtig für ihre Funktion anfühlten.
Dann wurde es still.
Sie sah ihn an. Lange. Kein Lächeln diesmal. Nur dieser Blick – ruhig, offen, als wüsste sie genau, dass der Moment kippen würde.
„Magst du Nähe?“ fragte sie.
Keine Anmache. Kein Spiel. Nur Ehrlichkeit.
Er antwortete nicht. Er rückte näher. Ganz langsam. Seine Knie berührten ihre. Ihre Hände ruhten im Schoß – bis seine eine davon sanft nahm.
Die Welt draußen verschwand. Die Lichter zogen in langen Streifen vorbei, der Zug wurde zum Kosmos. Ihre Stirn lehnte sich an seine, als wolle sie hören, was er dachte.
Dann ihre Lippen. Vorsichtig. Nicht gierig – eher wie ein Versuch, sich zu erinnern, wie sowas geht.
Er legte seine Hand an ihren Hals. Ihre Haut war warm. Ihre Finger fuhren über seinen Unterarm, suchten Halt, fanden Sicherheit.
Sie standen irgendwann auf, schlossen die Abteiltür. Kein Schloss, nur ein leiser Klick.
Sie zog ihn zu sich, ihre Bewegungen fließend. Das Licht war gedimmt, der Raum schien enger, wärmer. Sie öffnete ihr Haar, ließ es über ihre Schultern fallen, trat aus dem Mantel, ganz selbstverständlich. Er folgte ihr mit Blicken, als würde er ein Gedicht lesen.
Ihre Körper fanden sich. Nicht hastig. Jeder Griff, jede Berührung, jedes Atmen war Absicht. Seine Lippen an ihrem Schlüsselbein, ihre Finger unter seinem Hemd. Langsam. Wie ein Tanz.
Sie führten einander. Kein Druck. Nur Tempo. Ihre Hüften bewegten sich wie in Trance. Sie spürte jede Linie seines Körpers, er ihre Wärme, ihre Energie. Als wären sie für diesen Moment gemacht worden.
Sie liebten sich – nicht aufdringlich, nicht laut. Sondern tief. Sanft. Voller Spannung, die sich in jeder Sekunde entlud, ohne zu explodieren.
Die Nacht zog vorbei, draußen verschwammen Dörfer und Lichter. Drinnen lagen sie nebeneinander, ihre Finger verschränkt, der Atem ruhig.
„Wie heißt du?“ fragte er irgendwann.
„Spielte das eine Rolle?“, antwortete sie, fast schlafend.
Er schwieg.
Als der Zug am Morgen langsam in den Zielbahnhof rollte, war ihr Platz leer. Nur ein kleiner Zettel lag auf seinem Kissen.
„Danke für die schönste Zwischenstation.“