Es war einer dieser Abende, an denen alles still schien – obwohl die Stadt unter ihm lebendig war. Tom stand auf dem schmalen Balkon seines Hotelzimmers, sah auf die Dächer, auf das leuchtende Chaos aus Straßenlaternen, Autolichtern und den Schatten tanzender Vorhänge.
Das Zimmer war klein, aber hoch gelegen. Fast wie ein Versteck.
Er trank ein Glas Wein, den ihm die Rezeptionistin aus der Minibar angeboten hatte, und versuchte, den Tag hinter sich zu lassen. Ein Meeting, das sich gezogen hatte, ein Flug, der zu früh war, und eine Stadt, die er nicht kannte.
Er wollte gerade die Balkontür schließen, als er sie bemerkte.
Zwei Zimmer weiter. Ebenfalls auf dem Balkon. Eine Frau. Allein. Auch mit einem Glas in der Hand. Ihre Silhouette zeichnete sich im Licht ihres Zimmers ab. Sie drehte sich, sah ihn. Kein Zögern. Kein Wegschauen. Nur ein leises Lächeln.
Eine Weile standen sie so. Zwei Fremde, getrennt durch Balkone, verbunden durch die Dunkelheit und das Flackern der Stadt.
Dann winkte sie. Eine leichte Bewegung, kaum sichtbar – aber eindeutig.
Er zögerte.
Dann nahm er sein Glas, ging in den Flur, klopfte an Zimmer 514.
Die Tür öffnete sich langsam. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, barfuß, ihr Haar locker auf die Schultern gefallen. Ihr Blick war offen, neugierig – ohne Fragen.
„Du hast den besseren Ausblick“, sagte er.
„Aber du hast den Mut zu klopfen.“
Sie ließ ihn ein. Ihr Zimmer war ähnlich wie seins – aber wärmer. Ein Kerzenlicht flackerte auf dem Tisch. Der Wein war bereits geöffnet.
Sie setzten sich ans Fenster, ließen die Füße über die Balkonbrüstung baumeln. Die Stadt rauschte leise unter ihnen, als wäre sie weit weg.
„Ich mag Hotels“, sagte sie leise. „Sie machen alles möglich. Und alles unwirklich.“
Er sah sie an. „Du wirkst nicht wie jemand, der Dinge dem Zufall überlässt.“
„Heute schon.“
Es war ein Moment, in dem Worte nicht mehr nötig waren. Ihre Finger fanden einander – langsam, fast vorsichtig. Als ob man in einer fremden Sprache sprach, aber jedes Wort verstand.
Dann küssten sie sich.
Nicht hastig. Kein Feuerwerk. Sondern wie zwei Menschen, die wussten, dass sie einander genau in dieser Nacht gefunden hatten – und nicht wussten, ob es je wieder so sein würde.
Ihre Körper rückten näher, ihre Haut wurde zur Sprache. Sie zog ihn mit sich ins Bett, ließ das Kleid von ihren Schultern gleiten, ließ zu, dass der Moment sie trug.
Er berührte sie mit Ehrfurcht. Nicht aus Unsicherheit, sondern aus Respekt. Ihre Haut war warm, ihr Atem ruhig, ihre Augen geschlossen. Sie führte seine Hände über ihren Körper, zeigte ihm, wie sie gesehen werden wollte.
Sie liebten sich – langsam, tastend, mit Hingabe. Kein Drängen, kein Ziel. Nur Berührung, Nähe, das gemeinsame Atmen.
Die Stadt draußen flackerte weiter. Doch im Zimmer war es still.
Später lagen sie nebeneinander. Ihre Finger leicht verschränkt. Kein Wort. Kein Versprechen. Nur ein Blick, der sagte: „Ich bin gerade genau hier. Mit dir. Und das reicht.“
Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sie noch da. Ihre Haare über das Kissen verteilt, der Atem ruhig, die Stirn leicht in Falten – als würde sie träumen, aber nicht fliehen wollen.
Er ging leise, ließ nur einen kleinen Zettel auf dem Nachttisch.
„Wenn du den Blick wieder teilen willst – Zimmer 518.“